Ausstellungen

Fotokunst 2019

 

Ansprache zur Ausstellung

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

herzlich willkommen zur Eröffnung unserer Fotokunst-Ausstellung. Wir präsentieren Ihnen die fotografischen Arbeiten zweier unserer Studentinnen des Grundlagenstudiums Fotografie unter der Leitung von Frau Christel Käßmann, nämlich die von Anna Rühr und Gülsüm Uyanik.

Die Fotos von Anna Rühr, die Sie zum Beispiel in diesem Raum hier vorfinden, experimentieren vor allem mit den Potentialen des Helldunkelkontrastes, dem elementarsten Kontrastpaar der Fotografie und des Sehens überhaupt.

Ohne die Unterscheidbarkeit zwischen Hellem und Dunklem wäre uns die visuelle Welt nur schwer zugänglich. Eine klare, eindeutige Orientierung bietet uns vornehmlich das Helldunkel, ohne das das differenzierte Spektrum des Farbensehens für uns im Übrigen auch sehr eingeschränkt wäre.

Was aber hat nun Eindeutigkeit in der Kunst zu suchen? Wie gesagt experimentiert Anna Rühr mit dem Helldunkel, insofern auch mit den Wahrnehmungsbedingungen des Menschen überhaupt. Wir erkennen bei vielen ihrer Fotos sogleich, dass es mit der Eindeutigkeit gerade nicht so einfach ist. Tastende Versuche, sprich Ausschnitte, beginnen damit, Mehrdeutigkeit zu provozieren, vor allem, was die Verortung von Räumlichem angeht. Am Beispiel unverdächtiger Motive mit geringfügigem Informationswert wird der Blick konzentrierbar auf Verläufe und Abgrenzungen sowie auf Vermischungen von ansonsten Nicht-Zusammengehörigem. Hierdurch entstehen dezente Ungereimtheiten, die sich in Verbindung mit der Schwarzweißfotografie noch steigern lassen. Oft entstehen Flächigkeiten, wo keine sind, ab und an kehren sich die räumlichen Zuordnungen sogar um. Hier also hätten wir die zarten Anfänge bildstrategischer Verflechtungen, die für den ästhetischen Zusammenhalt eines Bildes zentral bedeutsam sind. Diese Ansätze können sich in Folge zu tonalen Zusammenhängen verdichten, aber auch hierzu finden sich bereits Ansätze, die ausbaufähig und erweiterbar sind.

Unser Ziel in der Ausbildung ist auf lange Sicht die Sensibilisierung für das, was wir unter dem Label des Klangs auf der Fläche fassen wollen. Um zu dieser hohen kompositorischen Kunst zu kommen, gilt es, Wissen über die Funktionsweise unseres Wahrnehmungsapparates in innovative Bildfindungen einfließen zu lassen. Klang ist dann nicht weniger als ein Synonym für eine ästhetische Krise, die durch die ästhetische Konstellation sowohl gebunden als auch freigesetzt wird.

Die Farbfotografien von Anna Rühr behaupten sich nicht durch klare, reine und durchdringende Farbtöne. Bewusst wird das Licht bzw. die reale Situation soweit beobachtet, bis die „Farbe“ getrübt, verwaschen, mystisch, verklärt oder auch „unnahbar“ wirkt. Die Landschaft weicht zurück. Es bildet sich eine bedrohlich wirkende Präsenz heraus. Eine Romantisierung der Landschaft wird dabei aber nicht angestrebt.

In den vielseitigen Motiven der Fotoarbeiten von Gülsüm Uyanik ist ebenfalls ein großes Suchen nach etwas Besonderem spürbar. Herausragend sind ihre psychedelisch anmutenden Farbkompositionen, in denen die Farbe eine überbordende Leuchtkraft und Verspieltheit freisetzt. Stillebenelemente vermengen sich zu einem anmutigen Potpurri aus Unschärfen, Bewegungen und verwirrenden Überlagerungen. Wichtig hier wäre anzumerken, dass keine digitale Bearbeitung stattgefunden hat. Vielmehr nutzte Gülsüm Uyanik die Effekte farbiger Lichter aus.

Ihr Weg durch eine türkische Großstadt lässt ihren Blick nicht auf den prominenten Touristenattraktionen haften. Vielmehr bietet sie den Armen und Ausgegrenzten ein fotografisches Forum. Im blanken Überlebenskampf seine Würde zu wahren, das könnte als Überschrift über diese Werkreihe dienen.

Sehr ruhig und kontemplativ muten dagegen ihre Landschaftsbilder an. Abgetaucht in Nebel laden sie den Betrachter ein, selbst zu versinken und in den Massen aus Bäumen und Nebeln zu verschwinden. Der Blick auf die Natur mutet fast wie ein natürliches Purgatorium an, nach dem ganzen Trubel aus Buntheit und Großstadtlärm. Wie bei Anna Rühr ist nicht die Landschaft an sich Anlass, sondern die Stimmung und die sinnlichen Eindrücke eines Spazierganges und die Erkenntnis, dass sich im kleinen Detail oft die Größe der schöpferischen Leistung von Licht, Natur offenbart.

Angesichts der aktuellen Überschwemmungskatastrophe in Istanbul erinnern gerade die Landschaftsfotografien an die Fragilität der Natur und alles Bestehenden und zeitlos und unverwüstlich Geglaubten.

Die Welt insgesamt, die Natur, also unsere unabdingbare Lebensgrundlage darf nicht mehr dem hedonistischen Amüsement, der todbringenden Bequemlichkeit und dem angeblichen freien, da rein profitorientierten Markt überlassen bleiben. Sie sind es, die die Erde vollends zugrunde richten werden. Jeder einzelne von uns trägt Verantwortung, denn nahezu jede unserer Entscheidungen trägt zu dem unhaltbaren Zustand dieses Planeten bei, reproduziert gedankenlos und medial verblendet die Bedürfnisse des Systems, zu dessen Vasallen wir uns bereitwillig degradieren lassen. Der Menschentypus des Künstlers ist heutzutage in meiner Sicht der einzige Hoffnungsschimmer, denn in ihm vereinigen sich Eigenschaften, die sich auch im Alltag jedes Menschen kultivieren lassen. Kunst inspiriert zu neuen Taten, sie lädt zur humanistischen Kritik ein, sie entlarvt und vor allem: sie zerstört und errichtet zugleich. Die künstlerische Gestaltung lässt das Alte hinter sich und schafft neue Welten. Neue Welten, in denen Mensch, Natur und Ästhetik in Einklang stehen.

Zum Schluss von uns allen ein großes Dankeschön an unsere beiden Fotokünstlerinnen, die hoffentlich auch in Zukunft für die Kunst und ihre Potentiale kämpfen werden.

Vielen Dank an Anna Rühr und Gülsüm Uyanik!


Dr. Michael Becker / Schulleitung wfk


 

 

 

 

Wolfgang Becker